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EU-Parlament stimmt für Sexkauf-Verbot: So reagieren Verbände und Organisationen darauf

EU-Parlament stimmt für Sexkauf-Verbot: So reagieren Verbände und Organisationen darauf

Prostitutionsverbot in der EU

Sexarbeitende schützen, Käufer sexueller Dienstleistungen belangen: Das EU-Parlament hat trotz heftigen Widerstandes kürzlich einen europaweiten Antrag gegen Sexarbeit angenommen, der sich am sogenannten „Nordischen Modell“ orientiert. 

Doch was bedeutet das für die Branche, für Betroffene und Sexarbeit in Deutschland?

Ist Prostitution bald europaweit verboten?

Diese Frage lässt sich mit einem klaren „Jein“ beantworten. Denn: An sich wird nicht Prostitution unter Strafe gestellt, sondern der Kauf von sexuellen Dienstleistungen.

Das Europa-Parlament stimmte vergangene Woche mit 234 Stimmen über einen Bericht des Gleichstellungsausschusses zur Prostitution in der EU ab, in dem neue, europaweit einheitliche Leitlinien zur Regulierung von Sexarbeit nach dem „Nordischen Modell“ gefordert werden. Dabei gab es 175 Gegenstimmen und 122 Enthaltungen.

Das „Nordische Modell“ setzt sich aus vier Maßnahmen zusammen: Der Kriminalisierung von Prostitution, Vermietung von Räumen an Sexarbeiter*innen und Vermittlung von sexuellen Dienstleistungen, die Bestrafung von Freiern, dem Zugang zu Ausstiegsprogrammen für Sexarbeiter*innen, um einen Weg aus der Prostitution zu finden sowie mehr Aufklärung der Bevölkerung. So sollen Sexarbeiter*innen besser geschützt werden.

Das „Nordische Modell“ wird aktuell zum Beispiel in Schweden umgesetzt. Dort soll es seit der Einführung deutlich weniger Prostitution geben – zumindest offiziell.

Menschenhandel und organisierte Kriminalität unterbinden

Durch die bislang unterschiedlichen Regelungen in den verschiedenen EU-Ländern boomen organisierte Kriminalität und Menschenhandel. Rund 70 Prozent der Prostituierten in der EU seien demnach Migrant*innen aus besonders prekären Verhältnissen, so die EU-Kommission.

„Diese Menschen befinden sich nicht aus freiem Willen in der Prostitution, sondern aus purer Perspektiv- und Alternativlosigkeit“, bestätigt die zuständige SPD-Abgeordnete Maria Noichl.

Zudem würden Sexarbeiter*innen marginalisiert und kriminalisiert werden. Viele von ihnen hätten keinen Zugang zum Gesundheits- und Sozialversicherungssystem sowie zum Rechtssystem. Vor allem in Ländern wie Polen gäbe es große Probleme, deshalb rufen Abgeordnete dazu auf, Prostituierten Zugang zu Verhütungsmitteln und sicheren Abtreibungen zu ermöglichen.

CSU-Politikerin Bär fordert Sexkauf-Verbot auch in Deutschland

Dass Prostitution ein schwieriges Thema ist, liegt auf der Hand. Sexarbeitende müssen geschützt werden und sollten freiwillig in sicherem Rahmen ihrem Gewerbe nachgehen können. Doch genau das ist der Punkt. Wie wird sich die Gesetzesänderung auf alle anderen Sexarbeitenden auswirken?

Auf Escorts, Tantra-Masseur*innen, Menschen, die Körperarbeit anbieten, und alle anderen Formen der sexuellen und körperlichen Zuwendung?

Dorothee Bär von der CSU, die als stellvertretende Vorsitzende der Union im Bundestag sitzt, fordert ein Verbot nach schwedischem Modell auch in Deutschland: „Die Situation von Prostituierten in Deutschland ist dramatisch. Wir brauchen dringend einen Paradigmen-Wechsel: ein Sexkauf-Verbot in Deutschland“, sagte sie gegenüber der Bild.

Denn nach ihren Schätzungen gäbe es in Deutschland rund 250.000 Prostituierte, von denen die meisten aus dem Ausland kämen und nur die wenigsten behördlich gemeldet seien. „Deutschland hat sich zum Bordell Europas entwickelt. Deutschland ist mittlerweile auch weltweit als Land für Sex-Tourismus sehr attraktiv“, kritisiert die Unionsvorsitzende.

Offiziell gibt es bundesweit aktuell laut Statistischem Bundesamt etwa 28.000 gemeldete prostituierte Menschen. Die Schätzungen sind also fast 9-mal so hoch.

Sexkauf-Verbot trifft auf heftige Gegenstimmen

Obwohl die Argumentation von CSU, SPD und EU-Parlament schlüssig klingt, werden auch Gegenstimmen laut. Denn ein Sexkauf-Verbot hieße auch, Sexarbeit wieder in den Untergrund zu verdrängen. Der Bundesverband für erotische und sexuelle Dienstleistungen lehnt die neue Gesetzesentwicklung deshalb ab.

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Ein Sexkauf-Verbot führe Sexarbeitende laut Verbandssprecher Kolja-André Nolte in noch schlechteren Arbeitsbedingungen. „Im Klartext: Gerade diejenigen, die eigentlich gerettet werden sollen, müssen in der Sexarbeit verbleiben“, argumentiert er gegenüber der Funke-Mediengruppe. Viele Sexarbeitende hätten nämlich keine berufliche Alternative.

Auch die Grünen stimmen der neuen Gesetzesentwicklung nicht zu: „Wir wissen, dass Prostituierte durch ein Verbot in Gefahr laufen, in die Illegalität gedrängt zu werden“, erklärt die frauenpolitische Sprecherin Ulle Schauws.

Verbände fürchten noch mehr Risiken für Sexarbeiter*innen

Auch Menschenrechtsverbände warnen vor einem Prostitutionsverbot. Verschiedene Organisationen wie Human Rights Watch, Amnesty International und viele weitere hatten deshalb in einem Brief die Parlamentarier aufgefordert, gegen den Gesetzentwurf zu stimmen.

Genau wie Grünen-Politikerin Schauws befürchten sie eine Verlagerung der Sexarbeit in den Untergrund. Dies bedeute ein noch höheres Sicherheitsrisiko für sich prostituierende Menschen. Sie betonen, dass Sexarbeiter*innen das Recht auf Selbstbestimmung genommen werde. Die Weltgesundheitsorganisation WHO sieht das „Nordische Modell“ ebenso kritisch, da sie durch die Kriminalisierung von mehr HIV-Infektionen ausgehe. 

Außerdem gäbe es laut Diakonie keine Beweise für den tatsächlichen Erfolg des Modells: „Verbote verhindern weder Prostitution, noch dämmen sie ihre negativen Auswirkungen ein. Wo tatsächlich Zwang und Gewalt eine Rolle spielen, bieten Verbote keinen Schutz. Für die Wirksamkeit des Nordischen Modells gibt es keine sicheren Belege.“

Das zeigt auch Schweden, welches das Modell als erstes Land seit 1999 eingeführt hat. Trotz des Sexkauf-Verbotes agieren Sexarbeiter*innen im Verborgenen und bieten ihre Dienste im Internet an. Da die Anzeigen über Server im Ausland laufen, ist die Verfolgung durch schwedische Behörden schwierig.

In welchem Maße und wann ein europaweites Sexkauf-Verbot in Kraft tritt, ist noch nicht klar. Fest steht, dass es für alle Beteiligten massive Auswirkungen hätte.


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