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Jugendschutzfilter blockiert Seiten zu sexueller Aufklärung

Jugendschutzfilter blockiert Seiten zu sexueller Aufklärung

Frau bekommt auf Tablet Jugendschutz Hinweis eingeblendet

Abschottung statt Aufklärung: Der weit verbreitete Jugendschutzfilter „JusProg“ blockiert seit geraumer Zeit den Zugriff auf informative Webseiten der Deutschen Aidshilfe (DAH) und ihrer Mitgliedsorganisationen, wie der Bayerische Rundfunk und netzpolitik.org kürzlich berichteten. Damit wird wichtige Aufklärungsarbeit behindert.

Diskriminierende Sperrpraxis und Behinderung von Prävention

„JusProg“ ist ein offizieller Jugendschutzfilter, der sich an gesetzlichen deutschen Vorgaben orientiert und damit der einzige seiner Art ist. Er soll anhand bestimmter Keywords potenziell jugendgefährdende Inhalte blockieren, womit häufig Pornoseiten und Erotikportale von Sperren betroffen sind. „JusProg“ kann von Eltern oder Schulen auf Geräten, die Kinder und Jugendliche nutzen, installiert werden.

Was eigentlich gut gedacht ist, wird allerdings für Informationssuchende zum Hindernis. Denn der Jugendschutzfilter blockiert auch den Zugang zu wichtigen Aufklärungs-Webseiten trotz ihres Bildungsauftrags und öffentlichen Förderungen.

Die Deutsche Aidshilfe kritisiert diese Behinderung der Aufklärung und Prävention scharf. „Diese Sperrpraxis ist diskriminierend und wirkt dem Auftrag der Aufklärung und Prävention entgegen. Jugendlichen werden damit lebenswichtige Informationen vorenthalten. Angebote zu sexueller Bildung für junge Menschen gilt es zu stärken statt wegzufiltern“, betont Ulf Kristal vom Vorstand der Deutschen Aidshilfe.

Jugendschutzfilter „JusProg“ erschwert queeres Coming-Out

Gerade bei sensiblen Themen bräuchten Jugendliche vertrauenswürdige, altersgerechte Angebote, erklärt Kristal. Insbesondere, wenn es um Informationen über HIV, sexuell übertragbare Infektionen und sexuelle Bildung ginge. Die Sperrung erstrecke sich außerdem über zahlreiche andere wichtige Angebote.

So wurden Interessierte zum Beispiel beim Aufrufen der Website „MeinComingOut.de“ am Betreten gehindert, was es queeren Jugendlichen extrem erschwert, sich Unterstützungsangebote in ihrem Outing-Prozess zu holen. Das sei besonders besorgniserregend, da der Jugendschutzfilter damit gezielt Personengruppen diskriminiere.

Deshalb hat die Deutsche Aidshilfe bereits eine sofortige Freigabe der gesperrten Seiten gefordert, die mittlerweile erfolgt ist. Dennoch betont die Organisation die Notwendigkeit einer gründlichen Klärung, wie es zu dieser Panne kommen konnte.

Zudem sollten Betreiber gesperrter Seiten darüber informiert werden, damit diese Einspruch erheben könnten.

Diskriminierungssensible technische Umsetzung für Jugendschutz

Die Problematik mit „JusProg“ zeigt, vor welchen Herausforderungen Jugendschutzfilter im Bereich der sexuellen Bildung stehen. Die Deutsche Aidshilfe fordert eine diskriminierungssensible Umsetzung technischer Jugendschutzmaßnahmen und unabhängige Kontrollen durch Fachleute nach öffentlich nachvollziehbaren Kriterien.

„Bei technischen Jugendschutzmaßnahmen bedarf es einer diskriminierungssensiblen Umsetzung. Um ungerechtfertigte Sperrungen zu verhindern, müssen unabhängige Fachleute die Systeme kontrollieren und korrigieren – nach öffentlich nachvollziehbaren Kriterien“, erklärt Ulf Kristal.

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Denn die Entwicklung unterstreicht die Wichtigkeit von nicht-technischen Maßnahmen zum Jugendschutz, wie umfassende Aufklärungsmaßnahmen und altersgerechte sexuelle Bildung an Schulen. Diese sei oft unzureichend, vor allem im Hinblick auf die geschlechtliche und sexuelle Vielfalt.

Weitreichende Folgen für die körperliche und seelische Entwicklung von Jugendlichen

Deshalb sei die Arbeit zivilgesellschaftlicher Organisationen zu diesen Themen unverzichtbar, doch leider sei die Finanzierung oft schwierig.

Die Deutsche Aidshilfe warnt vor weitreichenden Folgen, wenn Jugendliche von Aufklärungsangeboten durch Jugendschutzfilter abgeschnitten werden: „Wenn jugendgerechte Angebote dann noch durch Jugendschutzfilter von ihren Zielgruppen abgeschnitten werden, entsteht bezüglich Aufklärung und Prävention eine gefährliche Unterversorgung – mit fatalen Folgen für die psychische und körperliche Gesundheit von jungen Menschen“.

Auch in Sozialen Netzwerken sei eine sexualitätsbejahende Bildungsarbeit oft schwierig, weil Beiträge schon, nur weil sie das Wort „Sex“ enthielten, blockiert oder gelöscht würden. Oder weil die Reichweite von Seiten und Organisationen massiv eingeschränkt werden würde.

Doch: „Prävention kann nur gelingen, wenn über Sexualität gesprochen werden darf – in positiver und unterstützender Weise“, gibt DAH-Vorstand Ulf Kristal folgerichtig zu bedenken.


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