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Pornosucht: Wenn die Lust zur Last wird

Pornosucht: Wenn die Lust zur Last wird

Mann hat eine Pornosucht

Anonym, verführerisch und immer verfügbar: Unzählige Internetseiten bieten pornografische Inhalte. Was für viele Menschen eine Lust ist, wird für andere jedoch schnell zur Last: Laut Schätzungen sollen rund eine halbe Million Menschen in Deutschland pornosüchtig sein. 

Doch was steckt hinter der Pornosucht? Wie erkenne ich, ob ich selbst pornosüchtig bin? Und wie bekämpfe ich die Sucht? In diesem Artikel widmen wir uns den wichtigsten Fragen.

Was ist Pornosucht?

Zunächst gilt es festzuhalten: Pornografie ist per se weder schädlich noch ungewöhnlich. Sie war schon immer ein fester Bestandteil der menschlichen Sexualität und lässt sich sogar bis in die Steinzeit zurückverfolgen: Viele Höhlenmalereien zeigen nackte und erotische Darstellungen.

Mann ist pornosüchtig
Im Zeitalter des Internets und der leichten Verfügbarkeit von Sexfilmen ist Pornosucht besonders stark verbreitet (Foto: Kaspars Grinvalds – Shutterstock.com)

Mithilfe des Internets ist die Pornografie heutzutage jedoch sehr viel leichter zugänglich geworden: Der nächste Sex-Film ist oftmals nur einen einzigen Klick entfernt. Und genau hier liegt für viele Menschen ein Problem. 

Die Sexualtherapeutin Heike Melzer definiert die Pornosucht wie folgt: „Die Übergänge zwischen gelegentlichem Konsum und Abhängigkeit sind fließend. Denn ähnlich wie bei Alkohol- oder Drogensüchtigen gewöhnt sich das Gehirn schnell an den Reiz. Und in der Folge braucht es immer häufigere und heftigere Pornos, um stimuliert zu werden und entsprechende Glücksgefühle zu erzeugen.“

Der Coolidge-Effekt

Wenn es um das Thema Pornosucht geht, ist in der Wissenschaft häufig auch vom „Coolidge-Effekt“ die Rede. Dieser geht auf eine Anekdote des amerikanischen Präsidenten Calvin Coolidge (1872-1933) zurück, der mit seiner Frau einst eine Farm besuchte. 

Während der Präsident den Hof besichtigte, wunderte sich seine Frau, dass es im Hühnerstall neben unzähligen Hennen bloß einen einzigen Hahn gebe. Als man ihr daraufhin erklärte, dass der Hahn den Paarungsakt dutzende Male am Tag vollziehe, soll sie erwidert haben: „Sagen Sie das mal meinem Mann!“

Als wenig später der Präsident davon erfuhr, soll er jedoch nachgehakt haben: „Jedes Mal mit derselben Henne?“ – „Nein, jedes Mal eine andere!“ Darauf Coolidge: „Sagen Sie das mal meiner Frau!“

Laut dem Online-Lexikon Wikipedia bezeichnet der Coolidge-Effekt in diesem Zusammenhang „den wachsenden Überdruss […], der sich einstellt, wenn ein Individuum ohne Abwechslung immer wieder mit demselben Paarungspartner kopuliert.“ 

Oder mit anderen Worten: Die sexuelle Attraktivität des Partners geht mit der Zeit verloren und die Ausschüttung des Glückshormons Dopamin im Körper stagniert. Erst wenn ein neuer Partner in Erscheinung tritt – z.B. in einem Pornofilm – wird das Lustzentrum wieder aktiviert. Ein Phänomen, das bei der Pornosucht im besonderen Maß zum Tragen kommt.

Der SAFE-Test: Bin ich pornosüchtig?

Ab wann ist man pornosüchtig und woran erkenne ich eigentlich, dass ich süchtig nach Pornos bin? Vielen Betroffenen fällt es zunächst schwer, sich die eigene Abhängigkeit einzugestehen. Doch Einsicht ist in vielen Fällen der erste und wichtigste Schritt, um einen Heilungsprozess zu beginnen. 

Mann hat eine Pornografie Sucht
Der SAFE-Test kann Aufschluss darüber liefern, ob man pornosüchtig ist (Foto: Andrew Angelov – Shutterstock.com)

Um herauszufinden, ob man selbst pornosüchtig ist, empfiehlt Sexualtherapeurin Melzer die Anwendung des sogenannten „SAFE-Prinzip“-Tests. Treffen die vier genannten Punkte auf die eigene Person zu, könnten die Kriterien einer Sucht erfüllt sein:

  • Secret: Betroffene versuchen, ihre Sucht nach Pornografie geheim zu halten und schämen sich mitunter sogar dafür.
  • Abusive: Pornos werden übermäßig und in einem hohen Maße konsumiert. Man zwingt sich dadurch fast schon selbst zur Selbstbefriedigung.
  • Feelings: Durch die Sucht sollen andere Gefühle wie Trauer, Wut oder auch Langeweile kompensiert werden.
  • Empty: Die Sucht geht einher mit einer innerlichen Leere, welche die Person nach der Selbstbefriedigung verspürt.

Was sind die Symptome der Pornosucht?

Fest steht jedoch: Pornosucht ist noch immer keine offiziell anerkannte Krankheit. Weder gibt es verlässliche Zahlen dazu, noch klar definierte Symptome, die eine ärztliche Diagnose überhaupt möglich machen. Dr. Rudolf Stark, Professor von der Universität Gießen schätzt jedoch, dass Betroffene jeden Tag zwei bis vier Stunden damit verbringen, Pornos zu schauen: „Bei manchen dürfte es auch deutlich mehr Zeit sein.“ 

Ein weiteres Kennzeichen der Abhängigkeit: Private und berufliche Verpflichtungen werden hinter den Pornos zurückgestellt. Prof. Dr. Stark erklärt: „Betroffene berichten, dass sie sich getrieben fühlen. Sie entscheiden sich nicht wirklich frei dafür, sondern haben nicht selten das Gefühl, gar keine andere Wahl zu haben.“ 

Sucht nach Pornografie: Betroffene berichten von ihren Erfahrungen

Dass bei einer Pornosucht bereits kleine Trigger reichen, um sie auszulösen, erzählt ein Betroffener dem Nachrichtensender SWR3: „Das klingt voll bescheuert, aber wenn die Wohnungstür zufällt. Das hängt damit zusammen, wenn ich im Elternhaus früher war zu Schulzeiten und die Wohnungstür ist zugefallen, dann wusste ich, jetzt bin ich allein und dann konnte ich Pornos gucken, ohne entdeckt zu werden – ganz in Ruhe. Das hat sich irgendwann konditioniert bei mir. Bis zu dem Punkt, dass ich festgestellt habe, wenn die Wohnungstür zufällt, bekomme ich Lust auf Pornografie, obwohl ich drei Sekunden vorher noch nicht mal ansatzweise darüber nachgedacht habe.“

Mann kann nicht auf Pornos verzichten
Die Pornosucht wirkt sich oft negativ das Sexualleben der Betroffenen aus (Foto: Anton Gvozdikov – Shutterstock.com)

Auch die Ausübung von „normalem“ Sex sei während der Sucht gar nicht mehr möglich gewesen: „Der Dopaminausstoß beim normalen Sex reicht nicht ansatzweise aus, um das Dopamin zu erzeugen, was das süchtige Hirn braucht. In dem Moment, wo man süchtig ist, ist das Ausziehen des Partners deutlich ungeiler. Man kann ja alle 5 Sekunden sozusagen ein besseres Video anklicken. Das führt dann dazu, dass man bei normalen Menschen, die Makel haben und nicht ultra-perfekt belichtet sind usw. relativ schnell gelangweilt ist. Und das ist schon sehr hart, dieses Gefühl.“

Ein anderer Betroffener berichtet dem Nachrichtenmagazin Focus von ganz ähnlichen Erfahrungen: „Ich habe Pornos geguckt und meine Frau links liegengelassen. Statt neue Sachen mit meiner Frau auszuprobieren, habe ich im Netz geschaut. Männer in Pornos sind besser bestückt, Frauen haben geilere Figuren.“

Was sind die Folgen der Pornosucht?

Eine Pornosucht kann sich negativ auf Psyche und Körper auswirken. Neben Erektionsstörungen und mangelnder Erregung beim Sex, können langfristig auch partnerschaftliche und freundschaftliche Beziehungen in die Brüche gehen. Denn: Wenn die Sucht das eigene Leben bestimmt, bleibt nur noch wenig Zeit für zwischenmenschliche Kontakte. Viele Betroffene isolieren sich mehr und mehr und klagen über Depressionen.

Manchmal landen sie auch in der Schuldenfalle, weil sie – ähnlich der Spielsucht – viel Geld für kostenpflichtige XXX-Inhalte ausgeben. 

Hilfreiche Tipps, um die Pornosucht loszuwerden

Was tun gegen Pornosucht? Wie die Abhängigkeit besiegen? Laut der Sexualtherapeutin Heike Melzer basiert Heilung immer auf dem Eingeständnis und der Willenskraft der Betroffenen.

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Um die Pornosucht loszuwerden, kann es auch helfen, eine Zeit lang komplett auf Pornos zu verzichten: „Es ist wichtig, das eigene Verhalten zu reflektieren und sich seiner Sucht bewusst zu werden. Dazu gehört, sich über das Thema zu informieren und entsprechende Artikel und Videos anzuschauen. Manche von ihnen schaffen es auf eigene Faust, indem sie einen kalten Entzug machen und alle pornografischen Inhalte aus ihrem Leben verbannen.“

Andere Menschen benötigen jedoch externe Hilfe beim Porno-Entzug. Neben dem Besuch von Selbsthilfegruppen und Pornosucht-Foren, in denen man sich offen und ehrlich mit anderen Betroffenen austauschen kann, empfiehlt Melzer vor allem die Anwendung von Entspannungstechniken wie Yoga, Meditation und Achtsamkeitsübungen: „Man lernt dadurch, seine Impulse zu kontrollieren.“ 

Mann möchte seine Pornosucht bekämpfen
Bei manchen Menschen mit Pornosucht hilft nur eine professionelle Therapie (Foto: Motortion Films – Shutterstock.com)

Bringt alles nichts, kann schlussendlich nur eine professionelle Therapie mit einem Experten helfen, gelernte Suchtmuster zu durchbrechen und mögliche Wege aus der Sucht zu erlernen.

Gibt es auch Frauen, die süchtig nach Pornos sind?

Wissenschaftler gehen davon aus, dass es sich bei den meisten Pornosüchtigen um Männer handelt: Schätzungen zufolge sollen rund 5 Prozent der Männer und 1 Prozent der Frauen sex- bzw. pornosüchtig sein. 

Wie weit das Problem unter Frauen wirklich verbreitet ist, lässt sich jedoch nur schwer in Zahlen fassen. Da viele der Betroffenen Ausgrenzung und Stigmatisierung befürchten müssen, werden sie vermutlich darauf verzichten, sich professionelle Hilfe zu suchen. Die Dunkelziffer – vor allem unter Frauen – dürfte daher noch deutlich höher sein. 

Fazit: Es kommt auf die Dosierung an

Ob Youporn, Pornhub oder XHamster – kostenlose Pornoseiten gibt es im Internet wie Sand am Meer. Sie werden millionenfach geklickt und stimulieren unser sexuelles Verlangen. Nicht umsonst gilt die Sexualität als einer unser stärksten Belohnungsreize. 

Ab wann ist man pornosüchtig
Wie bei allen Genussmitteln gilt auch bei Pornos: Zu viel davon ist nicht gut! (Foto: jwblinn – Shutterstock.com)

Doch es ist wie immer im Leben: Wer zu viel davon konsumiert, der riskiert, in die Abhängigkeit zu fallen – und langfristig die Kontrolle über sein Leben zu verlieren. 

Sexualtherapeutin Melzer beschreibt dies anschaulich wie folgt: „Erstmal sind Pornos ein Genussmittel und wenn man sie dosiert einsetzt, wenn man es partnerschaftlich einsetzt – also auch mal zu zweit guckt – als alleine im stillen Kämmerlein, dann ist das so ähnlich, wie wenn ich ein Abendessen zelebriere. Dann ist das Tiramisu zum Nachtisch auch was Schönes. Etwas, das man sich mal gönnt. Anders ist es, wenn ich die 300 Gramm Packung Tiramisu heimlich schon vorm Abendessen esse. Und mich dann wundere, warum ich schon satt bin.“

Es ist daher wichtig, sich klar zu machen: Die Pornografie kann das echte Leben zwar ergänzen, aber niemals eins zu eins ersetzen. Nur wer sich stets bewusst macht, dass ein Porno nicht das reale Leben zeigt, ist in der Lage, eine gesunde Balance zu wahren. 


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