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„Porn Work”: Heather Berg über Sex, Arbeit und Spätkapitalismus

„Porn Work”: Heather Berg über Sex, Arbeit und Spätkapitalismus

Heather Berg Porn Work

Ist Pornofilme drehen harte Arbeit oder der Traumjob als Gegenstück zum faden Büroalltag? Dieser Frage geht die US-amerikanische Sozialwissenschaftlerin und Uni-Professorin Heather Berg anhand ihrer Forschung sowie in ihrem Buch „Porn Work: Sex, Labor, and Late Capitalism” auf den Grund.

Porn Work – (k)ein Job wie jeder andere

Die von Berg für das Buch interviewten 81 Pornodarsteller*innen, Manager*innen und Crewmitglieder zeigen auf, dass die Porno-Branche für viele der Befragten eine Flucht aus einem prekären oder langweiligen Berufsalltag ist. Zudem lockt die Aussicht darauf, sein eigener Herr bzw. ihre eigene Herrin zu sein, ohne einem oder einer Vorgesetzten Rechenschaft ablegen zu müssen.

Natürlich spielt auch die verlockende Möglichkeit der Teilnahme an sexuellen Abenteuern vor laufender Kamera eine Rolle. Dass es obendrein noch Geld für die schönste Nebensache der Welt gibt, mag zumindest in der Theorie ein Hauptgewinn sein.

Auf der anderen Seite gibt es auch im Porno-Business viel Routine, Leerlaufzeiten zwischen den einzelnen Drehtagen, schlechte Bezahlung und die Gefahr, sich mit Geschlechtskrankheiten zu infizieren. Widerspruch ist zudem zwecklos: Wer nicht bereit für bestimmte Partner*innen oder ausgefallene Sex-Praktiken ist, wird im Handumdrehen ausgetauscht.

Zu den Arbeitsbedingungen befragt, sagt die Autorin von „Porn Work“ im Interview mit dem Frauenmagazin jezebel.com: „Porno-Arbeit ist nicht ausschließlich Arbeit, aber sie fühlt sich oft wie Arbeit an, da sie auch langweilig sowie von Hierarchien und Ausbeutung geprägt sein kann. Diesbezüglich ist es ein Job wie viele andere.“

Good old times in der Porno-Industrie: War früher alles besser?

Laut Berg hat insbesondere der gegenwärtige Siegeszug des Internets das Porno-Geschäft der 1970er und 80er Jahre auf den Kopf gestellt. Auf welt.de gibt die Dozentin ihre Einschätzung preis: „Die Gehälter waren höher, die Budgets auch. Aber es wollten auch weniger Leute im Porno arbeiten als heute, den einzelnen Angestellten kamen also mehr Rechte zu, das Networking untereinander war ebenfalls effizienter.“

Foto von Heather Berg
Heather Berg beleuchtet in ihrem Buch auch die Porno-Industrie der 1970er und 80er Jahre

Demgegenüber würden heute nicht mehr die ganz großen Stars der Branche den Markt bestimmen und folglich würde auch nicht mehr so oft das ganz große Geld verdient. Dafür gäbe es im digitalen Zeitalter einfach zu viele Möglichkeiten, Pornos dezentral von jedem Ort der Welt zu produzieren und offerieren.

Ein Plädoyer für humanere Arbeitsbedingungen

Grundsätzlich ist es für Berg wichtig herauszustellen, dass Angestellte des Porno-Geschäfts mit den gleichen Problemen des Arbeitslebens zu kämpfen haben, wie viele Angehörige von „normalen“ Berufsgruppen – ganz gleich, ob es dabei um Diskriminierung am Arbeitsplatz, Kurzarbeit, niedrige Löhne oder Existenzsorgen geht.

Somit stünden Erotikdarsteller*innen, Regisseur*innen und weitere Akteure der Branche genauso im Zeichen des ausbeuterischen Spätkapitalismus wie inzwischen auch viele Angehörige von nicht derart kontrovers diskutierten Berufsfeldern.

Heather Berg, die als Dozentin an der Washington University St. Louis Themen wie Sexualität, Gender, Arbeit und soziale Ungleichheit an ihre Student*innen vermittelt, setzt sich daher dafür ein, dass auch in der Porno-Branche humanere Arbeitsbedingungen gelten sowie bessere Löhne gezahlt werden sollten.

Nicht vergessen werden dürften nämlich die langen Drehtage mit Überstunden und die Notwendigkeit der Eigenvermarktung von Pornodarsteller*innen in den sozialen Medien – also die permanente Dominanz der beruflichen Zeit über die Freizeit. Das ist laut Berg vergleichbar mit anderen kreativen, selbstständigen Tätigkeiten, was einmal mehr verdeutlicht, wie viel Arbeit Porno-Arbeit wirklich ist.

Anti-Porn-Fraktion vs. Porno-Geschäft

Bei vielen feministischen Strömungen sowie der Anti-Porno-Bewegung herrschen naturgemäß kritische Töne in Bezug auf die Porno-Branche und die Behandlung ihrer Akteur*innen. 

Berg moniert im Gespräch mit jezebel.com den fehlenden Bezug der Kritiker*innen zu den Erotikdarsteller*innen: „Sogar diejenigen, die sagen, sie würden versuchen die Arbeiter*innen zu schützen, reden nicht mit ihnen. Sie haben nicht nur ungenaue, sondern auch veraltete Vorstellungen darüber, wie das alles funktioniert.“

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Würden Anti-Porno-Aktivist*innen tatsächlich helfen wollen, hätten sie sich zum Beispiel stark machen können für die Rechte der Darsteller*innen im Zuge des Aufkommens der kostenlosen und damit für die Branche problematischen Porno-Tube-Seiten im Internet.

Buch Collage Porn Work Heather Berg
Porn Work rechnet mit verschiedenen Positionen der Anti-Porn-Fraktion ab

Darüber hinaus würde die negative Sichtweise der verschiedenen Anti-Porno-Organisationen auf das Porno-Business die Erotikdarstellerinnen und auch Darsteller lediglich noch mehr stigmatisieren und somit verhindern, dass ihre Tätigkeit die notwendige gesellschaftliche Anerkennung erfährt.

Porno-Arbeiter*innen in der Vorreiterrolle

Die kapitalistische Gesellschaft, so Berg, würde die Menschen, die aus dem System ausbrechen, sogar zusätzlich bestrafen: „Man kann im Kapitalismus nicht autonom und zugleich abgesichert sein. Das ist kein Problem des Porno-Business, sondern ein Problem des Kapitalismus.“

Doch Porno-Filmschaffenden ist die mangelnde Anerkennung und fehlende Unterstützung wie eine Krankenversicherung oder bezahlter Urlaub von Beginn an vertraut und sie haben daher Mittel und Wege gefunden, sich mit ihrer Situation zu arrangieren. Sei es, indem sie untereinander Informationen teilen, sich gegenseitig finanziell aushelfen oder Tipps für den Arbeitsalltag geben.

Laut Berg könnte die Porno-Branche sogar ein Vorbild für ähnlich vernachlässigte Berufsbilder sein: „Sex-Arbeiter*innen haben herausgefunden, wie man trotzdem über die Runden kommt. Konventionelle Arbeiter*innen können von diesen Strategien so viel lernen.“

Für die Nachfrage auf dem Porno-Markt sei jedenfalls gesorgt. Die Sozialwissenschaftlerin geht davon aus, dass die Einsamkeit, der Stress und die Entfremdung der Menschen im Spätkapitalismus zu Teilen weiterhin mit dem Konsum von Pornofilmen kompensiert werden.


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